Chronologie

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28.12.1984
Es ist Freitag, ein nasskalter Wintertag in Dresden. Wir benötigen noch ein paar Kleinigkeiten und entschließen uns zu einem kleinen Einkaufsbummel in das Stadtzentrum zu fahren. Unser Sohn Felix ist 5 Monate alt. Wir nehmen ihn im Kinderwagen mit. Er schläft friedlich, als wir gegen 16 Uhr das CENTRUM-Warenhaus auf der Prager Straße erreichen. Alle Plätze der dort eingerichteten Kinderbetreuung sind belegt. Aus diesem Grund stellen wir unseren Kinderwagen samt Felix am Seiteneingang Waisenhausstraße neben viele andere Kinderwagen ab. In vielen von ihnen liegen ebenfalls schlafende Babys. Den Kinderwagen vor dem Kaufhaus abzustellen war 1984 vollkommen normal.

Als wir 30 Minuten später vom Einkaufen zurück kommen, glauben wir, unseren Augen nicht zu trauen. Felix ist weg. Der Kinderwagen steht an der gleichen Stelle, aber leer.

Unser Sohn wurde entführt!

Nach wenigen Minuten läuft eine der größten, wenn nicht die größte Polizeiaktion in der Geschichte der DDR an. Alle in Dresden verfügbaren Kräfte werden aktiviert und eingesetzt, die Sonderkommission „Felix“ hat in den ersten Wochen mehr als 40 Mitglieder.
In alle denkbaren Verdachtsrichtungen wird ermittelt, so u. a.
– Frauen mit Tot- oder Fehlgeburten
– Familien mit abgelehnten Adoptivanträgen
– Personen, die bereits einmal mit einer Kindesentführung im Zusammenhang standen
Die Abschnittsbevollmächtigten der Volkspolizei und deren freiwilligen Helfer drehten in Dresden praktisch jeden Stein um, um auszuschließen, dass Felix irgendwo abgelegt wurde.
Das und noch viel mehr wurde unternommen – ohne ein greifbares Ergebnis.

6. Januar 1985
In den Mittagsstunden wird im Hausflur der Friedrich-Engels-Straße 11 in Dresden (heute Königstraße 11) ein männliches Kleinkind gefunden – es ist nicht Felix!
Keiner vermisst diesen Jungen! Keiner kennt seinen Namen. Man nennt ihn Martin.

8. Januar 1985
Der Leiter der Kinderklinik der Medizinischen Akademie „Carl-Gustav-Carus“ legt seinen Bericht über das Findelkind vor.
Der ausgesetzte Junge wird auf ein Alter von ca. 12 Monaten geschätzt. Das ergibt sich aus dem Vorhandensein von bereits 8 Milchzähnen, seinem allgemeinen Entwicklungszustand und einer Röntgenaufnahme seiner Handwurzelknochen.
Die Ärzte stellen fest, dass das Findelkind in den ersten Lebenswochen einer intensiven medizinischen und Infusionsbehandlung unterzogen worden ist.
Über die genaue Lage der „Venae sectia“ gibt eine Zeichnung Auskunft.

10. Januar 1985
Auf Grund des medizinischen Berichtes über das Findelkind und weiterer Ermittlungsergebnisse wendet sich die Militärstaatsanwaltschaft der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR mit einem Rechtshilfeersuchen an die Militärstaatsanwaltschaft der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD).

11. Januar 1985
Der Leiter der Bezirksverwaltung Dresden des Ministeriums für Staatssicherheit, Generalmajor Böhm, wendet sich an den Leiter der sowjetischen Militärabwehr bei der 1. Gardepanzerarmee in Dresden, Oberst Iljin, mit der Bitte um Unterstützung bei der Aufklärung der Kindesentführung und Kindesaussetzung.

1. Februar 1985
Auszug aus dem Vermerk der Militärstaatsanwaltschaft der NVA
(Oberst Müller, Militäroberstaatsanwalt) vom 01.02.1985:
„Zu dem am 10.01.1985 im Zusammenhang mit der Kindesentführung/Kindesaussetzung in Dresden an den Militärstaatsanwalt der GSSD gerichteten Rechtshilfeersuchen teilte Oberst Terjochin (Stellvertreter des MStA der GSSD) am 31.01.1985 folgendes mit:

3. Es wird davon ausgegangen, dass die Entführer unter Mitnahme des Kindes aus der DDR bereits ausgereist sind und sich in der UdSSR aufhalten. … Der Militärstaatsanwalt der Gruppe (gemeint ist die Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland – GSSD) geht davon aus, daß zwischen der Kindesentführung und der Kindesaussetzung ein unmittelbarer Zusammenhang besteht und die Täter aus der GSSD stammen.“

27. Dezember 1985
Die Einsatzgruppe Kindesentführung der Kriminalpolizei Dresden formuliert das Schlussprotokoll. Darin sind noch einmal alle Maßnahmen kurz aufgeführt und die Ergebnisse zusammengefasst. „Da gegenwärtig die kriminalistischen Mittel und Möglichkeiten zur Aufklärung der Straftaten erschöpft sind und keine begründeten Aussichten bestehen, die unbekannten Täter zu ermitteln, wird vorgeschlagen, das Ermittlungsverfahren gem. § 143 Ziff. 1 StPO vorläufig einzustellen.“

Februar 1986
In einem persönlichen Gespräch überbringen uns der Stadtstaatsanwalt der Stadt Dresden und der Leiter der Sonderkommission „Felix“ die Information, dass das Ermittlungsverfahren eingestellt wurde. Die Begründung war kurz:
Es liegen keine weiteren Erfolg versprechenden Ermittlungsansätze vor, alle Möglichkeiten wurden ausgeschöpft.
Wir hatten bereits im Verlauf des Jahres 1985 Stück um Stück die Hoffnung verloren, dass wir unseren Felix kurzfristig oder überhaupt wieder bekommen würden. Wir waren noch jung und wollten ohnehin nicht nur ein Kind haben. Deshalb saß Mutter Lenore beim Gespräch im Februar 1986 bereits wieder mit einem Kind unter dem Herzen am Tisch. Im Juni erblickte Fabian das Licht der Welt.

Familie Tschök

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